Arbeiten mit Wild im nicht jagdlichen Bereich

Zwischen Wunsch und Verantwortung

„Soll ich meinen Hund nicht auch mal mit echtem Wild arbeiten lassen?“

Diese Frage begegnet mir in fast jeder Weiterbildung, in fast jedem Coaching. Gerade Halter:innen jagdlich motivierter Hunde wünschen sich, ihrem Tier „gerecht“ zu werden – und spüren, dass in diesen Anlagen etwas Echtes, Ursprüngliches mitschwingt. Das Bedürfnis ist nachvollziehbar. Doch zwischen authentischer Arbeit und rechtlicher Verantwortung, zwischen artgerecht und alltagstauglich, liegt oft ein schmaler Grat.

Mit diesem Artikel möchte ich ein wenig Orientierung geben – nicht bewerten. Er soll dazu einladen, genau hinzusehen, bewusst zu entscheiden und den eigenen Weg mit Klarheit, Ethik und gesundem Menschenverstand zu gestalten.

Zwischen Anspruch und Widerspruch

Es gibt Fragen, die bleiben – auch nach Jahren im Hundetraining.
Eine davon lautet:
„Soll mein Hund nicht auch mal mit echtem Wild arbeiten dürfen?“

Ich verstehe diesen Impuls gut. Wer mit einem jagdlich motivierten Hund lebt, spürt täglich seine Anlagen: das Innehalten, das Tragen, das Leuchten im Blick. Und genau dort, zwischen dieser Faszination und der Verantwortung, beginnt ein Spannungsfeld, das wir als Trainer:innen und Halter:innen bewusst gestalten dürfen.

Denn so sehr es um den Hund geht – es geht auch um uns. Darum, wie wir führen wollen und was wir zulassen.

Warum Menschen m.M. nach „echte“ Arbeit suchen

In Gesprächen mit Trainer:innen und Halter:innen tauchen immer wieder ähnliche Gründe auf:

  1. „Ich will meinem Hund gerecht werden.“
    Die Anlagen sind da, sie wollen gelebt werden.

  2. „Ich will Echtheit, kein Ersatz.“
    Dummies wirken künstlich – echtes Wild scheint ehrlicher.

  3. Er braucht den Ausgleich.“
    Der Gedanke: Wenn der Hund einmal richtig darf, wird er ruhiger.

Das klingt nachvollziehbar. Und doch führt genau dieser Wunsch oft in eine Sackgasse.
Denn „echt“ ist nicht automatisch „gut“ – und „artgerecht“ heißt nicht, alles zu ermöglichen, was genetisch vorgesehen ist.

In meinem Verständnis heißt artgerecht:

  • den Hund ernst zu nehmen, ohne ihn zu überfordern;
  • ihn zu fordern, ohne ihn zu verunsichern;
  • ihm Orientierung zu geben, statt das er sich in Reizen verlieren kann

💡 Reflexionsimpuls:

Was meinst du, wenn du sagst: „Ich will meinem Hund gerecht werden“ – geht es um ihn, oder auch um dein Bedürfnis, dich mit ihm verbunden zu fühlen?

Recht, Ethik und Verantwortung

Sobald ein Hund an echtem Wild oder Schweiß arbeitet, sprechen wir von Jagd­ausübung – und die ist rechtlich Jagdausübungsberechtigten vorbehalten.
Das gilt auch dann, wenn der Hund „nur“ an einer Schleppe oder an Wildteilen arbeitet.

Darüber hinaus spielt Verantwortung eine große Rolle:

  • Gesundheit: Wildteile können Parasiten oder Krankheitserreger tragen.

  • Naturschutz: Fremde Wildreste im Revier stören Abläufe, schaden dem Wildbestand.

  • Wahrnehmung: Ein blutiges Tuch im Wald ist für Außenstehende kein Training, sondern ein irritierendes Bild.

Ich halte mich an diese Grenzen – nicht aus Angst vor dem Gesetz, sondern aus Respekt vor dem Lebensraum, in dem wir trainieren.

💡 Reflexionsimpuls:

Wie möchtest du, dass deine Arbeit gesehen wird – von deinem Umfeld, deiner Community, deinen Kund:innen?

Warum ich diese Tür bewusst geschlossen halte

Wenn ich einem Familienhund erlaube, an echtem Wild zu arbeiten, öffne ich eine Tür, die im Alltag wieder zu bleibt.
Ich wecke etwas, das ich danach begrenzen muss – und genau das erzeugt Widerspruch.

Für den Hund fühlt sich das an wie: „Jetzt darfst du – aber nur heute.“
Für uns Trainer:innen entsteht der Konflikt: Wir fördern Verhalten, das wir später bremsen müssen.

Ich möchte, dass Hunde verstehen, wann sie dürfen – und wann nicht.
Diese Klarheit ist für mich die Grundlage jeder Führung.

Darum entscheide ich mich gegen die Arbeit mit Wild im nicht jagdlichen Bereich.
Nicht aus Verbot, sondern aus Haltung.

💡 Reflexionsimpuls:

Wo in deinem Training öffnest du Türen, die du später wieder schließen musst? Und wie könntest du daraus etwas Eindeutiges formen?

Gesundheit & Sicherheit – unterschätzte Aspekte

Es gibt noch eine Ebene, die oft übersehen wird: die Gesundheit.

  • Ich weiß nie, woher das Wild stammt, wie es gelagert wurde, in welchem Zustand es ist.

  • Ich setze meinen Hund (und mich selbst) einem Risiko aus, das ich nicht einschätzen kann.

  • Ich riskiere, Krankheiten oder Parasiten ins Revier zu bringen.

  • Und ich übernehme Verantwortung für das Bild, das ich mit meiner Arbeit vermittle.

Ich halte es so: Sicherheit geht vor Symbolik.
Mein Hund muss nicht „echtes Wild“ tragen, um ernst genommen zu werden.
Er braucht Aufgaben, die klar, sauber und wiederholbar sind.

💡 Reflexionsimpuls:

Wie fühlt sich der Gedanke an, dass dein Hund sicher arbeitet – ohne Ungewissheit, ohne Risiko, aber mit echtem Sinn?

Jagdnahe Arbeit ohne Wild – klar, fair, konfliktfrei

Was Hunde brauchen, ist kein Wild, sondern Verlässlichkeit.
Sie brauchen Aufgaben, die ihre Anlagen ansprechen, aber den Alltag nicht sprengen.

Ich arbeite mit neutralen Gerüchen, festen Ritualen und klaren Abläufen.
So weiß der Hund: Jetzt bin ich im Arbeitsmodus. Jetzt ist es vorbei.

  • Gerüche: z. B. Kräuter, Gewürze oder Hydrolate statt Wildduft.

  • Rituale: Arbeitsgeschirr, Startsignal, Abschlussmoment.

  • Belohnungen: gemeinsames Tragen, Futter aus der Hand.

  • Aufbau: kleine Schritte, klare Erfolge, sichere Wiederholbarkeit.

So entsteht Struktur statt Reizüberflutung.

💡 Reflexionsimpuls:

Welche Rituale könntest du sofort einführen, damit dein Hund weiß: Jetzt beginnt Arbeit – jetzt ist wieder Alltag?

Apportieren – vom Verhalten zum Dialog

Für mich ist Apportieren kein Prüfungsfach, sondern ein Moment der Beziehung.
Es geht nicht darum, was gebracht wird, sondern wie wir es gemeinsam tragen.

Apportieren kann beruhigen, strukturieren und verbinden.
Es zeigt dem Hund: „Wir gehören zusammen.“
Und genau das ist der Kern – ob mit Jagdhund oder Familienhund.

💡 Reflexionsimpuls:

Wann war Apportieren für dich kein Training, sondern ein echtes Miteinander?

Spur & Sinn – wenn Suchen zu Lesen wird

Spurenarbeit ist für mich ein Dialog: Der Hund liest die Welt – ich lese den Hund.

Ich nutze neutrale Gerüche, lege die Spur bewusst, beobachte, wie er reagiert, prüft, zögert, fortsetzt.
Dabei lerne ich über seinen Fokus, seine Konzentration, sein Erregungsniveau.

Das Ziel ist nicht, dass er „besteht“, sondern dass ich ihn verstehe.
Er soll erleben: Ich begleite dich, ich sehe dich, ich leite dich.

💡 Reflexionsimpuls:

Was lernst du über deinen Hund, wenn du ihn suchend beobachtest, statt ihn zu korrigieren?

Einwände – und was dahintersteht

Viele Aussagen höre ich immer wieder:
„Ohne Wild ist das nicht artgerecht.“
„Mein Hund braucht den Kick.“
„Schweißarbeit macht ihn zufrieden.“

Hinter all dem steckt derselbe Wunsch: dem Hund etwas Gutes zu tun.
Aber was wir gut meinen, ist nicht immer das, was gut tut.

Artgerecht heißt für mich:
die Anlagen des Hundes bewusst, klar und verantwortungsvoll einzusetzen.
Nicht jede Energie braucht mehr Reiz – manche braucht mehr Ruhe und einen klaren Rahmen für die Orientierung.

💡 Reflexionsimpuls:

Was wäre, wenn Ruhe und Struktur deinem Hund mehr geben als jeder Reiz?

Der Rahmen macht die Freiheit

Familienhunde mit jagdlichen Ambitionen brauchen keine Jagd – sie brauchen Struktur.
Ein verlässliches Raster, in dem sie sich sicher bewegen können.

Ich arbeite mit klaren On-/Off-Ritualen, prüfe Basis-Signale regelmäßig und dokumentiere Fortschritte.
So entsteht ein Prozess, der Stabilität gibt – für Mensch und Hund.

💡 Reflexionsimpuls:

Wo in deinem Training fehlt noch ein Rahmen, der Sicherheit schenkt – für dich oder deinen Hund?

Fazit – Klarheit statt Nervenkitzel

Am Ende geht es nicht darum, ob etwas erlaubt oder verboten ist.
Es geht darum, welche Haltung dahintersteht.

Ich möchte keine Reizüberflutung, keine kurzfristige Befriedigung.
Ich möchte Klarheit. Struktur. Verlässlichkeit.

Denn das ist es, was jagdlich motivierte Hunde wirklich ruhig und zufrieden macht:
Arbeit mit Sinn, Grenzen mit Haltung, Beziehung mit Bewusstsein.

💡 Abschlussfrage:

Wenn du deinen Weg in einem Satz beschreiben würdest – was willst du deinem Hund wirklich geben: Klarheit oder Nervenkitzel?

🗓️ Workshop-Tipp

Am 23. November 2025 geht es in meinem Online-Workshop „Verweisen – Klarheit in der gemeinsamen Arbeit“ genau darum:
Wie du deinem Hund Aufgaben gibst, die seine Anlagen respektieren – ohne Überforderung, Druck oder Verbot.

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Waldige Grüße

Nicole